Sind Freelancer per se resilienter?

Ich mag den Gedanken hinter dem Lichtblicke-Projekt sehr. Die Krise als Chance, als Wendepunkt, als Katalysator neuer Ideen und Ansätze. Aber ganz ehrlich: Wenn ich auf die letzten drei Monate zurück schaue und die aktuelle Situation betrachte, kann ich bei mir selbst wenig kreatives Potenzial für einen grundlegenden Wandel erkennen. In der Hochphase des Lockdowns war auch gar keine Zeit für solche Auseinandersetzungen. Es galt immer wieder zwei Schulkinder ganztags zum Lernen zu motivieren und sie bei ihren Aufgaben zu unterstützen. Parallel musste der lange vorher geplante Umzug meiner Bürogemeinschaft organisiert werden.

Ich war froh über jeden ”ruhigen“ Tag, an dem nur wenig Text-Aufträge zu erledigen waren – ich hätte nur schwer geschafft.

Dazu kommt: In der ersten Zeit konnte ich noch genügend Rechnungen von weiter zurückliegenden Aufträgen stellen. Es gab schlichtweg nicht den Druck, sich neu aufzustellen. Auch Home Office war keine mindblowing neue Erfahrung für mich als freiberuflichen Texter, der prinzipiell von überall aus arbeiten kann.

Also Glück im Unglück gehabt und nichts mit business unusual? Keineswegs. Natürlich merke ich nun – da die Kinder wieder in die Schule können und der Umzug hinter uns liegt –, dass die Auftragslage deutlich ruhiger ist als vorher. Und es gibt auch unruhige Momente, in denen das Gefühl eines sicheren Freelancer-Lebens an Kraft verliert. Aber genauso stark ist die Zuversicht, dass es weitergeht. Text braucht es schließlich immer, genauso wie Code, Grafik, Fotografie, Sound und Film. Zudem sind Netzwerke und Auftragslagen von Freelancern per se dynamisch. Flexibilität, Unsicherheit, Kreativität – all das ist Teil unserer Job-DNA. Zugegeben: Dies klingt nach einem abgedroschenen Lichtblick. Aber wurde mir in den vergangenen Wochen noch einmal besonders bewusst. Und er trägt mich bisher tatsächlich durch die Krise.

Es gibt aber noch einen weiteren, ähnlich subjektiven Lichtblick:

Obwohl wir aktuell eine historisch bedeutsame Zeit miterleben, die auf ganz verschiedenen Ebenen für Unsicherheit und Leid sorgt, ist die Krise im Alltag oftmals wenig spürbar.

Mir ist bewusst, dass dies ein sehr privilegierter Blick auf die Situation ist. Beruhend auf dem Vorteil, in einem stabilen und wohlhabenden Land leben und beruflich auf relativ festen Beinen stehen zu können. Natürlich ist diese Krise auf ganz andere Weise historisch als ein Krieg oder eine Naturkatastrophe. Es gibt weiterhin Strom, warmes Wasser, intakte Häuser, ausreichend Essen. Dennoch werden diese Monate tiefe Spuren in der neueren Geschichte hinterlassen. Und nun live mitzubekommen, dass Krisen in der Mikroperspektive auch weniger dramatisch und düster sein können, als sie in History-Dokus oder Geschichtsbüchern scheinen, ist ebenfalls etwas, was mich positiv stimmt.

Ach und noch ein Lichtblick: Ich habe nun wieder etwas mehr Zeit, mich bei meinen Herzensprojekten frohfroh und Kleingarten einzubringen. Mehr Zeit, weniger Stress – beides durchaus angenehme ”Kollateralschäden“.

Jens Wollweber

Jens Wollweber arbeitet seit über zehn Jahren als freier Texter für verschiedene Agenturen und Unternehmen. Er ist Teil der Bürogemeinschaft People & Leute im Tapetenwerk. Angefangen als Redakteur beim Leipziger Stadtmagazin kreuzer, gründete er 2009 mit frohfroh.de einen der bekanntesten Leipziger Blogs.

Jens Wollweber